Über die Frage, was Google dürfen soll und was nicht, wird derzeit allerorten diskutiert. Noch ist unklar, was aus diesem Streit wird, aber die Argumente scheinen mir im wesentlichen ausgetauscht.

Vorweg: Ich selbst bin mir noch nicht sicher, ob das hergebrachte Urheberrecht langfristig den richtigen Weg aufzeigt, indem es nur den Urheber schützen will. Vielleicht ist diese Perspektive doch zu einseitig. Es ist sicher gut, einmal andersherum zu fragen, was es der Welt nützen würde, wenn qualitativ hochwertige Information jedermann weltweit zur Verfügung stünde – aber dann muss man auch über neue Modelle der Entgeltung nachdenken, sonst wird “schöpferische Tätigkeit” auf dem gewünschten Niveau nicht stattfinden, denn von Dank für Altruismus kann man sich kein Brot kaufen. Das ist ein weites Feld, vielleicht schreibe ich dazu einmal an anderer Stelle mehr.

Was mich aber an dem aktuellen Disput wundert ist die Struktur der Argumente pro Google:

1. Viele Verfechter argumentieren mit dem “Wesen des Internets”, seinen Chancen und seiner Rolle in der Informationsgesellschaft. Die Frage “Was soll im Internet erlaubt sein?” muss aber auf einer moralisch-ethischen und einer wirtschaftlichen Ebene diskutiert werden. Ein Verweis auf das Internet ist zirkulär. Das wird auch nicht besser, wenn man wie so einige Kollegen auf die Geschichte des Internets, die Meinungen seiner “Urheber” und den Stand der Diskussion in der Community und unter uns Internet-Profis verweist – denn wir Internet-Menschen können vielleicht zur Machbarkeit und zu neuen Ideen etwas gutes beitragen, die prinzipiell Klügeren in moralisch-ethischen und wirtschaftlichen Kategorien sind wir aber nicht.


2. Oder es wird mit dem ohnehin (irgendwann) technisch Unabwendbaren (siehe Musikindustrie) argumentiert, ein Muster, das wir auch aus der aktuellen Diskussion um die Sperrung von Internetsites kennen. Wer sich einmal wie ich mit juristischer Methodenlehre und Argumentation befasst hat, erkennt sofort: Bei der Frage, was SOLL, ist die Frage, was IST, ohne Bedeutung. Denn das was IST, SOLL ja gerade geregelt werden, sonst gäbe es die ganze Diskussion nicht.

3. Die Perspektive, was Google dürfen soll und was nicht, ist viel zu kurz gegriffen. Wenn wir über schwerwiegende – und, wenn ich es richtig verstanden habe: zeitlich unbegrenzte! – Eingriffe in Nutzungsrechte nachdenken, müssen wir in Dekaden denken. Die Szenarion sind also a. wie sieht die Lage aus, wenn in 20 Jahren ein “neuer Google” kommt?, b. wie sieht die Lage aus, wenn ein Change of Control stattfindet, zum Beispiel, wenn Google eines Tages übernommen wird? Wir alle kennen die Geschichten von Netscape, Atari, AOL, undwiehiessennochdiesuchmaschinendamals 😉 sollten also eine gewisse Dynamik des Marktes durchaus mitdenken. Würden wir zum gleichen Ergebnis kommen, wenn Microsoft den Settlement Act anstrengen würde?

4. Aus meiner Sicht geht es nicht nur (siehe eingangs Absatz 2) um Visionen, sondern ganz konkret um die Regelung des Interessenausgleichs zwischen Urhebern, Lesern (und den daraus folgenden Nutzen für alle = Gemeinwohl) und Wirtschaftsunternehmen, die die Inhalte aus wirtschaftlichen Gründen nutzen. Das ist eine politische Frage, die in den politischen Raum gehört, also dort diskutiert werden und geregelt werden muss – mit der notwendigen demokratischen Legitimation. Die juristischen Konstruktionen, derer sich Google bedient, mögen berechtigt sein (Class Action, Berner Abkommen etc.). Es steht aber der Politik zu, nach entsprechender Meinungsbildung gebenenfalls zu agieren, sei es durch Interventionen, den “Beitritt” in den Rechtsstreit oder durch einen legislativen Akt.

Zur Sache selbst noch eine Anmerkung:

Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass bestimmte Bücher der Allgemeinheit digital zugänglich gemacht werden sollten (z.B. diejenigen, die längere Zeit vergriffen sind, oder diejenigen, deren Urheber nicht ermittelbar sind, “orphans”), habe ich Zweifel, ob diese Aufgabe in die Hände von Wirtschaftsunternehmen in privater Hand gehört. Ich würde es hier – analog zum Pflichtexemplar bei der Deutschen Nationalbibliothek – für richtiger halten, über Institutionen nachzudenken, die im Einfluss der öffentlichen Hand stehen. Ob das nun Bibliotheken, neue Stiftungen, Vereine o.ä. sind, sei dahingestellt. Durch sie liesse sich auch eine Erlösverteilung erreichen: Sicherlich hat Google eine herausragende Position, um den Urhebern bzw. Verlagen maximale Erlöse zuzuführen. Diese Position Googles kann aber auch genutzt werden, wenn eine solche Stelle Lizenzen an Google und seine Wettbewerber vergibt bzw. mit diesen die Umsätze teilt. Für Google käme kaum ein anderes Ergebnis dabei heraus.